_______Lâchez les lacets_________

AUSZEIT kann ein tendenziell defizitärer Begriff sein, assoziiert mit dem Timeout: im schulischen Umfeld ein temporärer Ausschluss vom Unterricht, im Sport eine notfallmässige Lagebesprechung, allgemein eine Pause, ein Unterbruch, bevor das Wahre, die ECHTZEIT, weiter läuft. Wenn ich mir nun die positiven Aspekte des Begriffs vergegenwärtige, so bedeutet die Auszeit auch eine Möglichkeit, die Dinge, denen man sonst viel zu nahe steht, weil man eben mit der Zeit mitläuft, mit Abstand zu sehen.

 

Mir gefällt das Bild des Flusses, an dem ich nun stehe, an dessen Ufer ich mich ziehe. Der Blick von aussen auf die Strömung, der ich soeben noch angehörte, lässt einen vielleicht Muster erkennen oder Anderes, das man normalerweise übersieht. Das Abenteuer: Diese Chance, etwas zu verändern, sich maroder Gewohnheiten zu entledigen, das Wittern echter Freiheit und auch die Freude, irgendwann aufgewärmt und satt in den Fluss zurück zu sinken.

 

Genial finde ich, dass ich die Auszeit zweimal erleben durfte, bzw. darf: Seit Jahren (die grobe Planung fand ungefähr im Winter 2017 statt) habe ich das Ziel der Reise vor Augen, nächtelang habe ich mit Babs Routen und Orte studiert, in Gedanken bin ich in den letzten Monaten und Jahren so oft bereits abgereist und habe mir tagträumerisch die Wartezeit verkürzt. Nun kommt die reale Auszeit, jetzt ist es wirklich soweit! Es ist an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit: Alles wird anders sein, als die Reisezeit, welche ich vorgängig bereits gedanklich durchwandert bin. Während meiner träumerischen Vorstellung vom Reisen in Indonesien habe ich die Insektenstiche, die Magen-Darm-Beschwerden, die mühsamen Gespräche, die kranken Kinder (also meine), die Gerüche, das verspätete Boot, die überfüllten Busse und viele andere Unannehmlichkeiten nicht einbezogen. Dafür kann die Intensität des Realen niemals imaginiert werden. Es wird also alles neu und ich darf‘s somit ein zweites Mal erleben, als Echtzeit in der Auszeit.

 

Es ist ein grosses Privileg, so lange nicht arbeiten zu müssen. Wir sind uns bewusst, dass wir enormes Glück haben. Häufig werden wir gefragt, wie viel denn das alles kosten werde. Ich habe mir angewöhnt, in vorstellbaren materiellen Grössen zu antworten: Etwa so viel, wie ein Mittelklasse-Neuwagen kostet. Für Geld, mit dem andere sich ein schönes Auto kaufen, um zur Arbeit zu fahren, ermöglichen wir uns Zeit, um Abstand zu nehmen. Abstand von Sicherheiten, von Zwängen und Pflichten, von dem unnatürlichen Bedürfnis, ständig in digitaler Interaktion mit Menschen zu stehen, Abstand vom Privileg, in der Muttersprache zu kommunizieren, Abstand von der Heimat, Abstand von uns in urvertrauten Kontexten.

 

Ich werde versuchen, meine Aussen- und Innenwelt neu zu entdecken, anders zu erfahren, angetrieben von Neugierde, Offenheit und der Sehnsucht nach dem Schönen in dieser Welt!